Dr. Martin Bohle, ehemaliger Mitarbeiter bei der EU-Kommission, ließ es sich nicht nehmen auch in diesem Jahr zwei Sozialwissenschaftskursen des Abiturjahrgangs des CJD-Gymnasiums Rede und Antwort zu stehen. Zwar konnte er den Schülerinnen und Schülern nicht persönlich gegenüberstehen aber die digitale Technologie half in diesen Corona bedingten Zeiten über die notwendige Distanz hinweg.
„Europa braucht euch!“
Martin Bohle berichtete zunächst von seiner langjährigen Erfahrung als Kommissionsmitarbeiter, von dem spannenden Prozess der wachsenden Zusammenarbeit mit Menschen aus anderen Ländern mit verschiedenen Sprachen und kulturellen Hintergründen. Im Laufe der Jahre lernte er, wie selbstverständlich zwischen verschiedenen Sprachen und Denkweisen hin und her zu wechseln. „Manchmal war mir gar nicht mehr bewusst, in welcher Sprache ich jetzt gerade rede und denke.“ Gerade diese Zusammenarbeit habe ihm viel Spaß gemacht und er ermunterte die Schülerinnen und Schüler zu einem Besuch in Brüssel oder auch zu einem Praktikum bei der EU-Kommission oder einer anderen EU-Institution: „Europa ist Zukunft – Europa braucht euch!“
EU-Beamter: ein Karriereziel?
Den Schülerinnen und Schülern gingen Fragen durch den Kopf: „Wie kommt man überhaupt auf die Idee EU-Beamter zu werden und wie zeitintensiv ist die Arbeit?“. „Berufliche Werdegänge sind manchmal nicht von vornherein planbar; ab und zu ergeben sich einfach Möglichkeiten, an die man vorher gar nicht gedacht hat. Dann heißt es, neu überlegen und entscheiden“, so Bohle. Er sei mit seiner Entscheidung, die er vor vielen Jahren getroffen hat, sehr zufrieden, auch wenn die Arbeitsbelastung manchmal recht hoch war. Aufgaben, die zu erledigen waren, mussten bis zu einem bestimmten Zeitpunkt fertig sein, da spielte die Arbeitszeit keine Rolle, sondern organisiert sein und Kooperation.
Fragen über Fragen
Moderiert vom Sozialwissenschaftslehrer Markus Kuhlmann ging es in die offene Diskussionsrunde zu verschiedenen Themen rund um Europa. Neben Themen wie der europäischen und deutschen Impfpolitik oder dem jüngst in Kraft getretenen verschärftem Abtreibungsgesetz in Polen kamen von den Schülerinnen und Schülern auch die grundsätzlichen europapolitischen Fragen auf den Tisch. Mit Blick auf die wirtschaftlichen und politischen Entwicklungen in einzelnen Mitgliedsländern wurde diskutiert, ob es sinnvoll sei -wenn einzelne Mitglieder schon aus der EU ausscheiden können – nicht auch einzelne Länder ausgeschlossen werden könnten. Welche Anforderungen sollten an weitere Mitgliedskandidaten gestellt werden? Wie sieht es mit den gemeinsamen Werten aus: Haben wir innerhalb der EU noch ein gemeinsames Verständnis von Rechtsstaatlichkeit? Wie können demokratische Elemente innerhalb der EU weiterentwickelt werden?
Praktischer Tipp und Zukunftsvision
Auf die Frage, wie man mit Politikern umgehen sollte, die früher gemachte Aussagen und Versprechen nicht einhalten, antworte Bohle ganz demokratiepraktisch: „Dies könne man am besten dadurch ausdrücken, dass man bei der nächsten Wahl nicht mehr sie sondern andere wählt.“
Eine weitere Reform des Abstimmungsprinzips der qualifizierten Mehrheit im Europäischen Rat und im Ministerrat und eine Entwicklung hin zu einer Art Zweikammersystem könne er sich zur Stärkung der demokratischen Zusammenarbeit in Europa insgesamt sehr gut vorstellen.
Markus Kuhlmann